Willicher Schützenwesen



Diese ansprechende Darstellung des bunten Schützentreibens in Willich aus einem Kinderbuch [1] drückt sehr schön die fröhliche Feststimmung aus. Unschwer ist neben vielen anderen für Willich typische Erscheinungen im Zentrum dieser Zeichnung die Fahne des „Allgemeinen Schüt­zen­vereines“ mitsamt ihrem Fahnenträger zu erkennen.

Doch was ist der Ursprung des Willicher Schützen­festes?

Der nachfolgende Beitrag aus dem Festbuch zum hundertsten Schützenfest [2] soll ein wenig Klarheit bringen:


Machen Willichs Schützen alljährlich mit ei­nem Schützen­fest, das am linken Niederrhein seines­gleichen sucht, auch von sich reden, so weiß doch niemand so recht, seit wann es sie gibt. Der An­fang liegt im Halbdunkel mittel­alterlicher Stadt­geschichte. Eine Überlieferung sagt aus, dass die St.-Seba­stianus-Schüt­zenbruderschaft hier um 1475 ins Le­ben ge­rufen wurde. Sie sollte, so wollte es der Erzbischof Rup­precht von der Pfalz, die damals herr­schende Pest abwenden. Die Sebastianus­schützen waren auch oft Kern­truppe der Ver­teidiger auf den Mauern, die Wil­lich mit Gräben umga­ben. Die Chro­nik be­richtet, dass es damals Bau­ern und Schützen aus Willich waren, die am 20. April 1591 den Vor­hof der Kollenburg (auf der Dicker­heide) im Dienste des Kölner Erz­bischofs von niederländi­schen Truppen be­freiten. Man er­kennt, dass die Schützen der damals allerorts aktiven Bruderschaf­ten schützende Aufga­ben in ei­ner sehr turbulen­ten Zeit übernahmen. Die Schüt­zen in der Bruderschaft müs­sen schon eine verschwo­rene Gemeinschaft gewesen sein. So ist in einer Überlie­ferung aus dem Jahre 1780 zu lesen: „Wer aufgenommen wird, muss in jeder Hinsicht unbe­scholtenen Ruf ha­ben, we­der der Trunk­sucht noch dem Spiele noch ande­ren entehren­den Lastern ergeben sein und darf seit den letzten fünf Jahren keine Unterstützung aus der Armen­kasse er­halten haben.“
Mit der Fortentwicklung des Rüstungswesens und der Bil­dung stehender Heere nach dem Dreißigjährigen Kriege verloren die Schützengemein­schaften vor­übergehend ihre stadtgebun­dene parlamentarische Bedeu­tung. Die traditio­nelle Schutz­bereitschaft äußerte sich in dieser Zeit mehr in karita­tiven Handlungen und religiösen Aufgaben.
So heißt es weiter: „Die Schützenbrüder stellen sich am Fronleichnams­tage und am Al­lerseelentage unter die Fahne und wohnen der Prozession bei“. Eine Tradition, die bis heute fortbesteht.
Doch gab es in früheren Jahrhunderten nicht nur die St. Se­bastianus Schützenbrüder, son­dern auch andere Bruder­schaften mit ähnlich lauten­den Statu­ten und Auf­gaben. So muss es eine „Bruderschaft des Heiligen Jako­bus“ ge­geben ha­ben.
Um 1670, nach dem Dreißigjährigen Kriege, könnten die „Höfer Jungge­sellen“, später die „Ökonomen Schützenbru­derschaft“ gegründet worden sein. Sie re­krutierte sich vor­nehmlich aus Bauernhöfen. Alte Fotos do­kumentieren die Jah­reszahl auf dem einsti­gen Königs­silber.
Vor 1690 muss ebenfalls eine „Bruderschaft von Je­sus und Ma­ria“ bestan­den haben, die während der napoleoni­schen Beset­zung verbo­ten und auf­gelöst wurde.
Zur Stunde Null des neuzeitlichen Schützen­wesens wurde das Jahr 1704. Auf Befehl Friedrichs des I., den man 1701 zum König von Preußen krönte, wurden in verschie­denen Städten des Rheinlandes und West­falens Schützen­kompanien gebildet, in die nur waf­fengeübte Männer aufgenommen wer­den durften.
In dieser Zeit, nämlich 1705, als in Willich der Bür­ger- und Hand­werksstand auflebte, wurde die „Schützenbruder­schaft der Junggesel­len“, im Dorf auch „Bürger-Junggesel­len-Schützen“ genannt, ge­gründet.
Eine Willicher Bürgerwehr gab es 1849, die aber nur ein Jahr unbedeu­tend tätig war. Galt es, wie be­reits erwähnt, bis zum Ab­schluss des Westfäli­schen Friedens im Jahre 1648, Heim und Herd sowie das ei­gene und des anderen Le­ben zu verteidigen, wurde danach das Leben in den Bruder­schaften der Zeit an­gepasst.
Man setzte halt Tradition fort. Nicht vor­enthalten möch­ten wir dem Le­ser einen Auszug aus den Statu­ten, in neu­zeitlicher Sprache!
Jährlich soll nach altem Brauch am zweiten Sonntag nach Ostern der Vo­gel geschossen werden. Dazu sol­len sich alle Brüder mit ei­nem guten Schießgewehr verse­hen, bei den Bru­dermeistern und dem alten Kö­nig ver­sammeln und unter seiner Führung mit Trom­meln und Fie­deln zur Schieß­rute (heute „Schettruh“/Moosheide) zie­hen.
Nach der Verlesung der Statuten wird die Reihen­folge der Schützen durch das Los fest­gelegt. Zu­erst schießen die Ver­treter der Obrigkeit, die Adeligen und Geistli­chen, dann die anderen Schüt­zen.
Ist der Vogel gefallen, sollen die Trommel gerüh­ret und das Fähnlein geschwenkt werden. Die Brudermeister überbringen dem neuen Kö­nig das Schüt­zensilber sei­nes Vorgängers. Er ist das ganze Jahr über dienst-, wach- und steuer­frei, kann diese Privilegien aber ei­nem anderen Sebastianer übertra­gen. Gedenkt der König ein Gastmahl zu veranstal­ten, soll er am Tage des Vogelschießens sämtliche Brü­der, Fähn­rich und Trommler mit einem Ohm (etwa 160 Kannen) Bier freihalten, außerdem dem Silber eine Platte im Werte ei­nes Reichsta­lers anhängen. Die "Gasterei" soll min­destens zwei Tage dauern. Wei­tere Bewirtungen sind nach jeder Prozession und nach dem Gottesdienst am Sebastianustag (20. Ja­nuar) zu halten. An diesem Tag soll jeder Bruder Brot mitbrin­gen und, was nicht ver­zehrt wird, un­ter die Armen auftei­len.
Wer bei diesen Zusammenkünften einen anderen schmäht, soll zehn Quart (= Kannen) Bier zur Strafe zahlen.
Das Willicher Schützenwesen und die Volksfe­ste der drei Willicher Schützengesellschaf­ten verloren Mitte bis Ende des 19. Jahrhun­derts immer mehr an Bedeutung. Schützen­fest wurde nur gefeiert, wenn die Kassenver­hältnisse es zulie­ßen. Mangelndes In­teresse spiegelte sich in immer mehr ab­nehmenden Be­sucherzahlen wider. 1885 zog dann die „Bürger-Junggesellen-Bruderschaft anlässlich“ eines Som­merfestes letztmalig mit 19 Perso­nen durch den Ort.
Carl Grootens vom Vorstand der „Bürger-Junggesel­len-Bru­derschaft“ war im Sommer 1886 Initiator ei­ner Zusammen­kunft der Vor­stände der „St. Sebastia­nus-“, der „Bürger-Junggesel­len-“ und der „Ökonomen-Schützengesell­schaft“. Sinn und Zweck war die Durchführung eines ge­meinsamen Schüt­zenfestes. Es versteht sich wohl von selbst, dass zunächst je­der um die Existenz der eige­nen Bruderschaft be­sorgt war. Am Verhand­lungstisch saßen Andreas Met­zer, Theo­dor Leßmann und Jakob Schreiners von den St. Se­bastianern; Josef Bützen, Gustav Klören und Ro­bert Weyers von der Öko­nomen Schützengesell­schaft sowie Carl Grootens, Josef Leuw und Johann Wim­mers von der Bür­ger-Junggesellen-Schützenge­sellschaft. Man ei­nigte sich, trotz wenn und aber, in Wil­lich ein „Allgemeines Schützenfest“ zu fei­ern. Ein zehnköp­figes Komi­tee erledigte die Vorarbeiten.
Der erste Absatz aus der neuen Satzung heißt: „Der Zweck der Vereini­gung ist, die Einheit der drei Korpo­rationen zu fördern und zu erhal­ten. Die ein­zelnen Korporationen sind das Jahr hindurch ge­trennt und tre­ten zusammen, wenn die­selben ihr ge­meinschaftliches, also das ‚Allgemeine Schützen­fest' feiern.“
Geblieben ist die Eigenständigkeit der St.-Seba­stianus-Schützenbruder­schaft bis auf den heutigen Tag. Aller­dings ist die Bruder­schaft beim großen Schützenfest in stattli­cher Formation in den Rei­hen des über 750 Mann [3] zählenden Schützenheeres zu fin­den.

Aufzug der Fahnen zum 25. Allgemeinen Schützenfest 1910

Das jüngste Kapitel des ASV beginnt wieder mit dem er­sten Schützen­fest nach dem Kriege im Jahre 1951. Etwa 245 Jahre nach dem Gründungs­erlass eines preußi­schen Königs war es ein britischer Residenz­offizier der dama­ligen Mi­litärregierung, der im Jahre 1949 den Weg zu neuen Schüt­zenaktivitäten in Nor­drhein-Westfa­len freigegeben hatte. Heutzutage rechnet sich der ASV Willich die vielen Freunde, Förderer und Bewunderer zur Ehre an, die - längst nach Er­langung der Souveräni­tät unseres Staates - eigens von der Britischen Insel kommen, um dem exak­ten und disziplinierten Schützenspiel auf dem Markt­platz bei­zuwohnen.

In einem Schlusssatz sei festgestellt, dass das Holzge­wehr, welches die Schützen heute gleichsam spielerisch im Fest­zug tragen, eine letzte Erinne­rung an vergan­gene Zeiten ist. Erlebt man das heu­tige Fest aufmerk­sam, stellt man hier und da je­doch nach wie vor fest, dass manches, in al­ten Sta­tuten festge­legtes Brauchtum in lebendiger Tradi­tion er­halten blieb und weiter fortgeführt wird.



[1]   „bei uns in der stadt willich“, herausgegeben vom Kulturamt der Stadt Willich, Zeichnung von Ria Schmalbach-Demers.
[2]   mit freundlicher Genehmigung von Karl Kothen (+), Pressereferent des Allgemeinen Schützenvereines:
Auszug aus dem von ihm verfassten Festbuch zum hundertsten Allgemeinen Schützenfest in Willich.
[3]   Das war 1986; heute marschieren mehr als 1.000 Schützen und 500 Musiker durch Willichs Straßen.


  Der „Allgemeine Schützenverein 1886 e.V. Willich“ verfügt über eine eigene Internetpräsenz.

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