Willich - ein wenig Historie



Wann und von wem Willich gegründet wurde, wissen wir nicht. Auch die Herkunft des Namens bleibt im Dunkel der Geschiche verborgen. In alten Urkunden liest man Vilica, Vilka, Wylka, oder Wilike. Die Mehrzahl der Historiker glaubt, den Namen vom lateinischen „villa" (Landgut, Hof) oder „vilici“ (Hofbewohner) ableiten zu können. Dies ist sicher naheliegend, da die Gemeinde Willich bis in die heutige Zeit hinein aus einer Vielzahl einzelner Höfe be­tand. Die Römer selbst allerdings werden gewiss nicht auf dem heutigen Willicher Gebiet gesiedelt haben, sie waren vielmehr weiter östlich zu finden, am Rhein, der wichtigen Verkehrsader. Vielleicht bezieht sich der Name aber auch auf den Fron- oder Domhof, der etwa seit dem Jahre 800 am Grunewall stand und im Mittelalter „villa“ hieß. Der Siedlungsbereich in seiner Nähe wurde 1424 „Spewilre“ genannt [1]. Eine interessante und ungewöhnliche Variante einer Deutung des Ortsnamens Willich bietet der Hamburger Universitätsbibliothekar Dr. Hans Bahlow. Er vertritt die Meinung, dass die Germanen viele Ortsbezeichnungen von fremder Vorbevölkerung übernahmen und führt die Herkunft dieser Namen auf verschollenes Wortgut europäischer Vorzeitvölker zurück. Der Name Willich wird nach seiner Überzeugung von der vorgermanischen Wurzel „bil“ (Sumpf) abgeleitet. Auch der Wortstamm „wil“ wird von ihm als 'Sumpfwasser' und „lek“, „lich“ als indogermanisch 'zerfließen' erkannt [2]. Diese Erklärung entbehrt ebenfalls nicht jeglicher Grundlage; war das niederrheinische Land doch sehr sumpfig und die wie Inseln herausragenden  Donken (noch heute oftmals als Flurname erkennbar) machten eine Besiedlung erst möglich. Bereits 1901 wurde in einem wissenschaftlichen Werk über die Toponymie des Rheinlandes festgestellt, der Ortsname Willich „... geht unzweifelhaft auf keltisches 'Billiacum' ('Villiacum') zurück ...“ [3]. Zeug­nisse früher Besiedlung fand man bei Schreckenend und auf dem Gelände des alten Stahlwerkes Becker. 1914 grub man an „Hovers Kull“ einige Gefäße aus, die aus einem germanischem Brandgrab stammten. Die Besiedlung dieser unwirtlichen Gegend war in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung sicherlich überaus spärlich  und so waren es wohl keine Römer, sondern Franken, von denen eine dauerhafte Besiedelung dieser ländlich geprägten Gegend ausging.
Der Name Willich wurde zum ersten Male 1137 in einer Schenkungsurkunde an das Kloster Kamp in der Form „Wylike“ urkundlich erwähnt. Alles deutet darauf hin, dass die alte Kirche in der Zeit Karls des Großen, um 800 also, erbaut wurde [4]. Es war gewiss ein bescheidenes Gotteshaus, in dem sich die Bewohner der umliegenden Höfe zum Gebet versammelten.




Die 1899 abgerissene Pfarrkirche


Möglicherweise waren es ja die Grundmauern dieses ersten Kirchleins, die 1849 bei Umbauarbeiten entdeckt wurden. Der Fronhof, die mögliche Keimzelle der Besiedelung, war dort, wo heute Park- und Bahnstraße zusammentreffen, zu finden. Er lag verkehrsgünstig an der Straße von Neuß nach Wachtendonk, inmitten eines lehmigen, fruchtbaren Ackerbodens. Ein kleiner Abschnitt dieser Straße heißt auch heute noch „Neußer Straße“.
An diesen Hof zahlten die hörigen Bauern ihre Abgaben. Auch die Kirche gehörte dem Besitzer des Hofes, denn er verlangte den Zehnten für deren Unterhaltung.
Im 9. und 10. Jahrhundert wurde dieses Gebiet intensiver besiedelt, und im 13. Jahrhundert war die wesentliche Besiedelung abgeschlossen.

Willich gehörte zur karolingischen Zeit den Grafen von Kleve. Von diesen kam es mit der Herrschaft Hülchrath an die Herren von Heinsberg-Saffenberg und 1257 wieder zurück an den Herrn von Kleve, Theodor. 1294, nach anderen Angaben 1298, verkaufte dessen jüngerer Bruder das Gebiet an das Erzbistum Köln [5]. Otto von Kleve, 1305 Nachfolger des o.g. Theodors und Heinrich von Virneburg, der Kölner Erzbischof, stritten sich noch 1311 darum, doch Willich blieb nun, allerdings mit einer gut hundertjährigen Unterbrechung, als der Kölner Kurfürst an Geldmangel litt und das Kirchspiel Willich für 18.000 Reichstaler an die Freiherren von Virmond verkaufte, rund 400 Jahre lang kurkölnisch. Der Erzbischof übereignete den Fronhof dem Domkapitel und per Vertrag vom 1. Oktober 1373 wurde der Dompropst Grund- und Lehensherr von Willich-Osterath mit allen Einkünften, wie dem Zehnten, der Kurmund und vielen anderen Erbzinsen, Pachten und Leibgewinnabgaben. Schon 1273 ist ein Willicher Landgericht bezeugt. Das Gebiet Willichs setzte sich aus verschiedenen Verwaltungsbezirken zusammen, den Honschaften. Es waren dies neben den Kirchspielen Osterath (Rodung im Osten), Kaarst und der etwas abgelegenen Kraphauser Honschaft vornehmlich die Große oder Willicher Honschaft, die Streithover und die Hardter Honschaft. Sie wurden von einem gewählten „Hon“ geleitet. Ihre Verwaltungsfunktionen sollten bis zum Einmarsch des französischen Revolutioheeres intakt bleiben.



Im Mittelalter war das Dorf mit Wällen, Gräben und Toren befestigt [6]. Diese Befestigungen verliefen über die jetzige Grabenstraße, Neußer Straße, Schiefbahner Straße, Mühlen- und Burgstraße. Fünf Tore sind uns überliefert: Woltersport (Ecke Brauerei-/Grabenstraße), Petersport (Ecke Graben-/Peterstraße), Langelsport (Ecke Burg-/Bahnstraße), Naffertzport (Ecke Hülsdonk- /Schiefbahner Straße), Brötsch- oder Oberport (Ecke Kreuz-/Neußer Straße).Als „Freyheit Willich“ hatte der Ort zu dieser Zeit schon einen gehobeneren Status. Obwohl die Auswirkungen der Reformation ihn so gut wie gar nicht berührten, wurde Willich doch in den Wirren des Truchsessischen Krieges, als sich 1582 der Kölner Erzbischof zum neuen Glauben bekannte, durch Truppen der einen wie der anderen Seite oftmals zerstört und geplündert. 1591 fiel die Kollenburg, auf die sich viele Dorfbewohner vor den Söldnern gerettet hatten, durch Verrat eines Dienstboten in die Hände der Niederländer. Die zurückgekehrten Dorfbewohner fanden ihren Ort zerstört und geplündert vor. Am 10. März 1675 wurde ganz Willich Opfer einer großen Feuersbrunst, die der Überlieferung nach durch kaiserliche Truppen ausgelöst wurde.





Neben der Landwirtschaft besaß auch das Bierbrauen seit jeher eine besondere Bedeutung. Bevor das Brauen mit Hopfen und Malz etwa seit dem 14. Jahrhundert allgemein üblich wurde, kannte man das so genannte Grütbier, welches aus Früchten und Blättern des Gagl-oder Grütkrautes hergestellt wurde und im übrigen sehr bitter war. Aus dem Jahre 1315 stammt die links abgebildete Urkunde über die Übertragung der Steuereinkünfte aus den Willicher Braurechten an das Kloster Meer [7]. 1496 ist „Johann der Wirt“ in Willich bekannt und man weiß, dass hier 1725 die Familien Hausmann und Schmitz Bier gebraut hatten.

In der Zeit des er­sten Weltkrieges  vereinigten  sich  diese   beiden  Unternehmen  mit der Braue­rei Dic­ker zu den „Verei­nigten Willi­cher Brau­e­reien“. Beim späteren Zusammen­schluss mit der Kor­schen­­broicher „Han­nen-Brauerei“ wurde der Grund­stein zu einer der bedeutendsten Brauereien des Nie­derrheines ge­legt; einer Brauerei übrigens, die maßgeblich an der Stiftung der ASV-Fahne beteiligt  war.
Der Ein­marsch der franzö­sischen Revolutionsarmee im Oktober 1794 been­dete die alten Herr­schafts­strukturen. Die Franzo­sen unter­teilten das Ge­biet nach französischem Mu­ster in Dépar­tements, Arrondisse­ments und Kan­tone. Die Mairie Wil­lich ge­hör­te ab dem 17. Februar 1800 zum Kan­ton Neersen im Arondissement Kre­feld, wel­ches wiederum zum Départe­ment de la Roer ge­hörte. Die Bürger­meisterei Wil­lich wurde von den neuen Herren auf der Grund­lage der vier Hon­schaften gebil­det. Die­se Hon­schaften als eigen­ständige Verwaltungs­bereiche wur­den 1801 aufge­löst. Als das Rhein­land nach dem Wie­ner Kon­gress zu Preußen kam, wurde die Ge­meinde 1816 Bestand­teil des Kreises Kre­feld, kam 1929 dann zum Land­kreis Kempen-Krefeld. Ab dem  19.Jahr­hundert wur­de auch  die  Branntweinpro­duktion zu ei­nem großen wirtschaft­lichen Fak­tor. 1861 gab es im Ort 61 Brannt­wein­brennerein bei ei­ner Gesamt­bevöl­kerung von 3790 Perso­nen. Von da­her rührt die Be­zeich­nung für Wil­lich als „Brennen­des Dorf“.




Doch auch eine an­de­re wich­tige Berufs­gruppe wird aus dieser Sta­t­istik von 1861 ersicht­lich, näm­lich die der We­ber. 288 Per­sonen verdien­ten da­mals den Lebensunterhalt für sich und ihre Fami­lien, in­dem sie für die Kre­felder  Sei­den­ba­rone  Tu­che web­ten.  Eine  Vorstellung, wie die fer­ti­gen Bal­len geschul­tert und in die Stadt ge­tra­gen wur­den, vermit­telt uns heute das Denk­mal    des   Seiden­webers Pon­ze­­laer auf dem Krefel­der Südwall.
Der Wohl­stand der Ge­meinde wuchs, 1838 wur­de der Marktplatz ge­pfla­stert, und die er­sten Bür­ger­­steige ent­standen. 1878 be­gann man mit der Ein­richtung ei­ner Kana­lisa­ti­on, um 1900 wa­ren die Dorf­grä­­ben ver­schwunden. Zwi­schen 1896 und 1899 wurde die alte Kir­che abge­ris­sen. Unwieder­bringliche Zeug­nisse der Vor­fah­ren gin­­gen ver­loren, dienten als Bau­schutt den Bau­ern zur Befe­stigung ih­rer Wege. Auch wenn diese Verlu­ste nicht wieder­gut­zu­machen sind, so soll­ten wir mit den damals Le­benden nicht allzu hart ins Ge­richt gehen. Die Kir­che war nun ein­mal bau­fällig und auch sicher viel zu klein für die sprunghaft ge­stiegene An­zahl der Gemein­de­mit­glie­der.



1908 entstand das Stahlwerk Becker mit Arbeitsplätzen für 3000 Menschen. Bereits zwei Jahre später baute man die erste Arbeitersiedlung in der Nähe des Werkes [8]. Das Unternehmen erlebte seine wirtschaftliche Blüte während des ersten Weltkrieges mit der Herstellung von Rüstungsgütern. Dieser Großbetrieb half zusammen mit der Brauerei der Gemeinde Willich, über die schweren Zeiten des Krieges hinweg zu kommen. Nach 1918 ging die Produktion stark zurück; erst eine Sanierung 1924 brachte den Betrieb wieder zum Laufen. Doch schon 1930 wurde das Werk still gelegt und 1932 ganz aufgelöst. Dies war eine Katastrophe für Willich, und die Not in der Bevölkerung erreichte nie gekannte Größen. Ein Viertel der Einwohner konnte nur durch regelmäßige Unterstützung überleben.
Der bald nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ausgebrochene Krieg brachte neue Not und Entbehrung nach Willich. Viele verloren ihr Leben, und auch die materiellen Verluste waren enorm. 1945 lag das ganze Land in Trümmern. Die wirtschaftliche Lage erreichte ihren tiefsten Stand 1946/47, als zahlreiche Flüchtlinge und Evakuierte untergebracht und versorgt werden mussten. Doch auch hier regte sich der Wille zum Neuanfang, und langsam bildete sich das Willich heraus, wie wir es heute kennen: als Bestandteil der bei der kommunalen Neugliederung 1969 gebildeten Stadt aus Willich, Anrath, Schiefbahn und Neersen mit mittlerweile mehr als 50.000 Einwohnern




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[1]   vgl. Peter Franz Bayertz, „Geschichtliche Nachrichten …“,Seite 1; vgl. Dr. Hans Kai­ser, „Willich und seine Pfarrkirche“, Seiten 13, 25

[2]   Dr. Hans Bahlow: „Deutschlands älteste Fluss- und Orts­namen“.

[3]   Dr. Franz Cramer: „Rheinische Ortsnamen ...“, Seite 25

[4]   Der Wil­licher Histori­ker Dr. Hans Kai­ser vermu­tet, dass diese dem hei­ligen Pan­kratius ge­weihte  Kir­che eine Vorgän­gerin (St. Ge­reon?) aus der Me­rowingerzeit (7. bis 8. Jahrhun­dert) hat­te.

[5]   M. W. Teschenmacher: „Clivia, Julia, Montia, Mar­chia, Ra­vensburgia“; Seite 189:

... Novesium tractum sive haereditate, sive beneficio impera­torum et Austrasiae regum tum temporis (827 post Christum) Cliviensium fuisse, eorum­que jurisdic­tionem cousque proten­disse: quod peranti­quum il­lud eorundem jus in confini castro et Domino Hülc­kenradio confirmat, quod a comitibuus Cliven­sibus ad Domi­nos Heins­bergios et Saffen­bergicos, et ab his ut infra etiam dicetur, cum Aleida Heinrici Domini de Heinsbergh filia anno 1257 ad Theodoricum VII. Cli­viae comitem iterum pervenit, qui vicis­sim illud fratri iuniori ces­sit, hic vero tandem anno 1294 Ecclesiae Coloni­ensi vendi­dit. Con­tinent autem Comitatus hic Hülckenradium, Lynnium, Dycium castra; pagos vero Wili­chum, Vis­selium, Osteradium, Her­denum, Nielium, Langium ...

[6]   Die „Dymbkes-Poort“ in Anrath. So ähnlich haben auch die Willicher Dorftore ausgesehen, wie diese Darstellung des Rembrandt-Schülers Lambert Doomer aus der Mitte des 17. Jahrhunderts zeigt.

[7]   Dieser oben abgebildeten, im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf aufbewahr­ten Urkunde vom 24. Juli 1315 zufolge, übertrug der Graf von Kleve das Braurecht in Willich (Wileke) gegen 4 Mark bra­bantischer De­nare an das Kloster Meer. Die Non­nen verpflichte­ten sich da­für, ewig ein Jahrge­dächtnis für die damalige Altgräfin Margaretha von Kleve und ihren verstor­benen Ehemann Theode­rich abzuhalten.

[8]   Um 1910 entstand die erste Siedlung, eine zweite folgte nach den Plänen von Dr. Hermann Hecker, Leiter der „Beratungsstelle für Kleinwohnungswesen“ in Düsseldorf, ab 1916 am Wegerhof.